Saisoneröffnung 2013
this was posted originally on the 10th of March 2013!
Es ist Anfang März, genau genommen der 1. März um 23:59 Uhr. Ich stehe hier mit etwa 419 Gleichgesinnten an der Hafenpromenade von Agaete und wir zählen die letzten Sekunden bis zum Start. Der Start zum TransGranCanaria 2013, der 10ten Ausgabe. Meine – und wohl auch für viele andere Läufer – Saisoneröffnung. Es ist recht früh im Jahr. Zu früh? …für 119 km und 7300 positiven und vor allem auch 7300 negativen Höhenmetern über Stock und Stein, aber wie sich noch sehr deutlich herausstellen sollte, vor allem über Stein. Hab ich sie noch alle? Ich bin heuer noch nie mehr als 2000 hm in einem Stück gelaufen und mein längster Lauf war gerade einmal 47 km. Wieso mute ich mir nun also gleich die Voll-Version des TGC zu? Auch Denis neben mir stellt sich die gleiche Frage. Ein Ryan Sandes reduzierte auf die „kurze“ Strecke (Advanced, 83km) und sollte diese dann auch eindrucksvoll gewinnen…
Aber he, so sehen wir mehr von dieser Insel! Und am Ende des Tages haben wir dann auch am Meisten zu erzählen ;-)
Und außerdem ist es jetzt eh zu spät um sich noch groß darüber Gedanken zu machen. Es geht nun wirklich los. Die Stimmung in Agaete ist grandios und der Countdown hat bereits begonnen: …cinco, cuatro, tres, dos, uno und ab die Post! Die Meute wird losgelassen.
Es ist angenehm warm und nachdem es sofort bergauf geht ist das Aufwärmen etwa nach 2 Minuten abgeschlossen. Ab jetzt geht es einmal gute 1000 hm stetig bergauf. Anfangs noch eine Forststrasse, aber schon bald ein genialer Singletrail. Ich fühle mich gut und laufe dahin. Andere gehen schon, ich laufe noch. Fein, das gefällt mir. Ich bin im grünen Bereich und die Höhenmeter auf der Ambit zählen ordentlich nach oben. Die ersten 1000 hm hab ich dann in 1:05Std. hinter mir. Na das wäre doch nett wenn es so weiter gehen würde. Wunschgedanke. Kurz darauf passieren wir dann auch schon die erste Labestation. Flasks füllen und weiter. Asphaltstraße. Und noch bevor ich meine Flasks zugeschraubt habe lieg ich schon auf der Nase. Ja, so eine Kante im Asphalt ist doch auch viel tückischer als Würzeln oder Felsblöcke ;-). Mein Zeugs wieder einsammeln und weiter laufen. Es sollte dies auch mein einziger Sturz sein. Peinlich.
Um mich herum sind immer wieder einige Läufer. Es wird etwas spanisch geplaudert und ich genieße die Begleitung. Keine Ahnung wie weit vorne oder hinten wir eigentlich sind, aber es macht Spaß und das Tempo ist zügig, die Luft ist herrlich. Nur die Sicht wird schön langsam schlechter. Und aus dem Nebel kommt immer mehr Regen. Artenara (km 18) ist bald erreicht (2:20hrs) und nach kurzer Stärkung und Zuspruch meiner Crew geht es dann zum ersten Mal ordentlich bergab. Der Fels ist rutschig und ich muss mich konzentrieren um mich hier nicht schon am Anfang aufzuarbeiten. Einige Kollegen schießen an mir vorbei als gäbe es kein Morgen. Ich lass sie ziehen. Unten im Bachbett angekommen geht es auch gleich wieder bergauf. Bei km 25 packe ich bereits meine Stecken aus um die Anstiege in Angriff zu nehmen. Habe schon lange nicht mehr so früh die z-Poles verwendet, aber heute fühlt es sich irgendwie richtig und gut an. Also rauf da. Das Wetter wird vermehrt ungemütlich. Wie war das mit Sonne und Hitze? Teilweise nun dichtester Nebel und Regen, dazu eine Briese Wind die dann immer wieder mal eher eine Sturmböe ist. Zusätzlich zur Windjacke werfe ich mir dann irgendwann auch die Regenjacke über. Auf einer Forststraße bergab gespickt mit großen Flesblöcken versuche ich an meinem Vordermann dran zu bleiben. Er ist gerade einmal 3 Meter vor mir, aber teilweise erkenne ich kaum das rote Rücklicht an seinem Rucksack und verhindere oft nur knapp, dass ich mit den Felsbrocken die da zwischen seinem Rücklicht und dem Lichtschein meiner Stirnlampe auftauchen, Fußball spiele. Irgendwie ist das Zeitgefühl verloren und ich versuche einen Schritt nach dem anderen in dieser Nebelsuppe hinzubekommen. Auf einem felsigen Pfad talauswärts ist die Sicht dann endlich wieder besser; man sieht nur den Pfad trotzdem nicht wirklich, weil das nasse Gras und Gebüsch herein hängt. Auf einmal Vogelgezwitscher! Und dann auch die ersten Konturen die die traumhafte Landschaft erahnen lassen. Morgengrauen. Super schön, einfach genial. Das sind die Momente für die sich die Mühe lohnt. Ich atme die Morgenluft ein und genieße den Augenblick.
Etwas später spuckt uns der Pfad auf eine Asphaltstraße wieder aus und wir laufen Richtung Kilometermarke 55. Ein kleines Zelt. Etwas agua auffüllen. Cola. Erdnüsse und weiter. Die Stirnlampe ist nun nicht mehr nötig und ich trabe gutgelaunt eine Forststraße bergab. Auf einmal Ziegen. Viele. Aber keine Streckenmarkierung? Verdammt. Verlaufen. Wieder retour. Vielleicht 5 min Umweg, aber es ärgert mich. Hab einfach die Abzweigung verschlafen. Eigentlich fast unmöglich, denn die Streckenmarkierungen sind echt top! Dann wieder felsige Pfade die uns von einem Staudamm (Prisa de Las Ninas) zum anderen (Presa de Chira) bringen. Es sind nun um mich rum 3 Mitstreiter und wir wechseln uns immer wieder einmal ab. Einer knickt direkt vor mir um, scheint dann aber nicht so schlimm zu sein wie es aussah. Ein anderer fragt beim Roten Kreuz kurz nach, holt uns aber bald wieder ein. Mehr oder weniger gemeinsam erreichen wir die letzte Labestation bei km 63.5 bevor es den großen Anstieg rauf nach Garanon geht. Hier nochmals Energie tanken. Nüsse, Cola, Orangen. Ein Bussi von meiner Crew, die keine Mühen scheute sogar hier an diesem verlassenen Ort aufzutauchen um mich zu unterstützen. Danke! Merci! Muchas gracias!
Und jetzt ab nach oben. Ordentlich nach oben. Der Regen wird wieder stärker, aber vor allem der Wind. Kapuze drüber und Zip bis rauf zur Nase. Geniale felsgepflasterte Wege führen uns immer höher, die teils aber aufgrund des anhaltenden Regens nun einfach ein Bachbett sind.
Der Wind nagt an den Beinen. Und macht mir auch Beine. Ich muss in Bewegung bleiben, damit mir nicht zu kalt wird. Auf einem Grad angekommen, bläst mich der Wind fast davon. Arge Windböen. Ich beeile mich um von diesem Grad runter zu kommen. Hier stehen zu bleiben ist nicht drin, obwohl es gerade eine geniale Stimmung hat!
Irgendwann als es grad flacher ist, ich aber aufgrund des Felsblockgehüpfes eher gehend mich fortbewege, überholt mich einer in weißer Salomonkluft. Wo kommt der her? Und so sauber? Sind das die Läufer vom 83km – Advanced? Dann kann es nicht mehr weit sein bis Garanon. In der Tat. Ich laufe durch die Hütten in denen Philipp a.k.a. Zauberlehrling und Julia a.k.a. Trailschnittchen schon gastieren durften und stehe sogleich auch in der Labestation Garanon bei km 79. Bevor ich etwas zu trinken bekomme, erst mal der komplette Materialcheck. Alles wird überprüft! Find ich super, und die 3 min nutze ich um etwas zu verschnaufen. Dann Trinken auffüllen, 1 Kaffee und Orangen. Die Chickensoup verneine ich. Eine Bouillon hätte mir aber sicherlich gut getan. Die nasse und vor allem windige Nacht hat mich doch etwas in Mitleidenschaft gezogen. Anyway, draußen deutet mir Renata den Weg – ja, Frau Olmo höchst persönlich! Silke wartet in dem dafür vorgesehenen Betreuer-Zelt auf mich. Dick verpackt in Daunen- und Regenjacke. Ihr ist vermutlich viel kälter als mir. Ich beweg mich ja die ganze Zeit. Schnell wechsle ich meine durchnässten Shirts und fülle meinen Gelvorrat auf. Alle 45-60 min wird davon genascht! Marco Olmo, der die 83 km Advanced-Strecke läuft, verlässt 30 sec vor mir die Station und ich schaffe es noch 30 sec ihm zu folgen. Schon eine extrem coole Sache, dass der alte Mann (64!) oder besser gesagt diese Legende sich hier die Ehre gibt und schlussendlich einen beachtlichen 11. Platz erläuft. Chapeau!!! Und auch eine coole Sache, dass die Rennen so getimed sind, dass man auch etwas von den anderen Bewerben live mitbekommt. Gefällt mir.
Es geht nun auf erstaunlich „smoothen“ trails bergab, diese sind zwar gatschig, aber bei weitem nicht so felsig wie fast alles was wir bis dahin gelaufen sind. Schön. Und es wird auch schön langsam wärmer. Bergab entledige ich mich meiner Regenjacke. Etas später der Windjacke. Und als dann die Sonne wieder ordentlich ihre Power zeigt ist das langärmlige Shirt dann auch definitiv zu viel. Marco hatte in Garanon schon nur ein Shirt an. Ja, so hätte ich mir einiges an Zwischenstops erspart…
In Teror ist es schon erbarmungslos heiß (für die Einheimischen wahrscheinlich immer noch winterlich, deren Stiefel nach zu urteilen) und selbst das ärmellose Shirt kommt mir zu viel vor. Agua und etwas kaltes Cola, und weiter. Silke motiviert mich nochmals und meint es ist nun wirklich nicht mehr weit. Genau. Fast sind die 100 km ja schon geschafft. Und es geht fast nur mehr bergab. Fast. Auweia
Dieser letze bessere ½-Marathon hat es noch in sich und sollte noch 3 ¼ Stunden in Anspruch nehmen. Zuerst einmal brav leicht bergauf. Entlang einer Bewässerungsrinne und bergab. Der erste Blick nach Las Palmas zum Auditorio. Das Ziel. Schaut ja gar nicht mehr so weit aus. Hehe. Denkste! Immer mehr Läufer vom Marathon und ½-Marathon („Starter“) sind auf der Strecke. Und vereinzelt Läufer vom Advanced. Einen Leidensgenossen vom 119er überhole ich auf einer Bergab-Passage. Er leidet anscheinend bereits noch etwas mehr als ich. Es ist nicht mehr weit rede ich mir ein und deute ihm er solle mitlaufen. Es ist schwer die Übersicht zu behalten wer zu welchem Lauf gehört, aber eigentlich ist es mir in dem Moment egal, ich will nur mehr ankommen. Es ist genug für heute. Meine Beine haben genug. Und meine Füße erst recht. Die wasserreiche Nacht hat beiden Ballen etwas zugesetzt und nun bedanken sie sich bei mir mit jeweils etwa 5 x 2 cm großen Blasen. Das tut gut. Vor allem wenn es jetzt bei brütender Sonne ein trockenes Bachbett hinaus geht. Ja, geht. Mehr ist im Moment nicht drin. Die Beine könnte ich wohl noch zum Laufen überreden, aber die Blasen an den Füßen verneinen. Noch ein steiler Anstieg. Ein 83km-Läufer trippelt neben mir hoch. Ich schiebe mit den Stecken. Oben angekommen sehen wir dann wieder den Strand. Unser aller Ziel zum greifen nahe. Noch 3 km. Ich laufe wieder. Der Zielmagnet beginnt zu wirken. Und gehe wieder. Eine finale Asphaltstraße. Bergab. Zähne zusammen beißen und los. Ich hänge den 83km-Läufer ab. Einmal noch um einen Hügel herum. Ich muss wieder gehen. Dann klopft mir der Kollege auf die Schulter und deutet dass wir das jetzt im Laufschritt fertig machen.
Ich laufe. Ein finales Hindernis: eine Leitplanke. Geschafft. Und durch die Menschenmasse dem Ziel entgegen. Unbeschreiblich. Schmerzfrei geht es den roten Teppich rauf über die Ziellinie. 16:35:11. Fertig. Danke. Genug für heute!
Finisher-Weste holen, Chip abgeben und Silke im Getümmel suchen. Einen Sitzplatz ergattern und hinsetzen. Tut das gut ;-)
Nach halbstündigen Einbruch schleppe ich mich zum Mietauto und bis zur Dämmerung feuern wir noch Läufer an. Dann geht es zurück ins Hotel, wo wir dann beide beim Abendessen fast in die Teller fallen, vor lauter Müdigkeit. Hut ab für die die jetzt noch unterwegs sind. Ist Denis schon da? Daumen drücken. Ich muss ins Bett. Augen zu.
Um 5:00 bin ich wieder wach. Zu KO um zu schlafen. Irgendwie ein komisches Gefühl. Ich gehe die Ergebnislisten durch und bin froh zu sehen, dass Denis es auch noch gut in einem Tag geschafft hat. Und ich, ich sollte es schlußendlich auf Platz 14 geschafft haben. Fast durchgehend bin ich auf dieser Position gelaufen. 14. War ich nach 18 km; bei 55 und auch in Garanon bei km 79. Und im Ziel dann auch wieder 14. Coole Sache ;-)
Bin überglücklich so früh im Jahr sowas abliefern zu können. Ein gelungener Einstand. Ein riesen Dankeschön an meine Crew! Ja da ist ein candle-light dinner wohl wirklich zu wenig! Und ein großes Dankeschön an all meine Unterstützer und Sponsoren! Danke Salomon , Danke Suunto , Danke GU, Danke Innovit und Danke AlpenHeat. Dank eurer Hilfe ging die Saison 2013 schon einmal ganz gut los und ich freu mich schon auf das nächste Abenteuer, die nächsten Trailmeter und –höhenmeter!
So long und bis dann!
BTW: Unser Rückflug hatte weit mehr Verspätung als ich für den Lauf benötigte: 21 Std! Naja, ein Tag Zwangspause und immerhin durften wir unseren Frust mit dem Allgäuer und seiner Family teilen. Danke!
